Im Jahr 2021, nachdem ich mir den Film Everything, Everywhere, All at Once in Paris angeschaut hatte, habe ich meiner Mutter gesagt, dass ich Schriftsteller werden möchte, und angefangen, das Manifest des Multikosmismus zu verfassen. Es ist ein in einem abstrusen und geschwollenen Stil geschriebener Text voll der Frechheit meiner Jugend, der überhaupt keine Chance hatte, ein Publikum zu finden. Den Text habe ich in meinen Gedanken reifen lassen und festgestellt, dass er eigentlich nicht genügt. Er ist vielmehr ein Teil von etwas Größerem, von einer dramatischen Fiktion, die ich entwickeln wollte.
Drei Jahre später habe ich, aus konsequenten Gründen, meiner Mutter geschrieben, dass ich eigentlich Dramatiker werden möchte. Der Scheideweg - auf Französisch La Croisée - wurde dann geboren. Er hat die anscheinend paradoxe Form eines polyphonen Monologs angenommen, weil ich tief davon überzeugt bin, dass eine Figur von verschiedenen Schauspielern genauso wie ein Schauspieler von mehreren Figuren gespielt werden kann. Im endgültigen Text geht es um wichtige Themen, die einen jungen Mann Tag und Nacht heimsuchen können und die ihn immer wieder plagen: die Reaktion dem Tod gegenüber, die Suche nach einem dauerhaften Glauben und die Versuchung eine Originalität beziehungsweise Genialität zu behaupten, die zu einer bestimmten Hybris führen kann.
Mutwig heißt derjenige, der im Stück von diesen Themen angegangen wird. Als künftiger und noch auf dem Bildungsweg befindlicher Buchhändler wächst er auf, lernt begierig, wird reifer und versucht etwas Persönliches zu erschaffen in einer Welt, deren Grenzen zwischen Singular und Plural verschwimmen. Sein Ich erlebt dadurch eine zerstörerische Zersplitterung, die zwar weh tut, die aber eine Erlösung vorbereitet. Sein UND Nichtsein, das ist hier die Tatsache.
Absichtlich bleibe ich in diesem Text etwas rätselhaft, da ich die Neugierde des Publikums wecken möchte, die am 5. Juli 2024 in der Buchhandlung Böttger erfüllt sein wird. Jene Buchhandlung ist im Übrigen der Auslöser für dieses Unternehmen gewesen genauso wie ein Mittel dafür, es auf die Beine zu stellen. Ohne diese Hilfe und Vertrauen wäre es mir nicht gelungen, diese „Mythologie“ zu schreiben und zu spielen und auch nicht meiner Mutter zu sagen, dass ich an diesem Abend Schauspieler sein werde.
Biographische Hinweise:
Ich, Jean-Lou Lamblin, wurde am 5. April 2003 in Troyes, in Frankreich, geboren. Nach dem Abitur in Calais 2021 und einem zugleich bestandenen Jahr in der Schauspielschule Dunkerque bin ich nach Paris gegangen, um einen Zwei-Fach-Studiengang an der Sorbonne anzufangen, dessen Schwerpunkte die Germanistik und die Französistik sind. Um meine Sprachausbildung weiter zu betreiben, bin ich im August 2023 nach Bonn gezogen, habe zuerst ein sechswöchiges Praktikum in der Buchhandlung und Galerie Böttger absolviert und schreibe zurzeit meine Bachelorarbeit über den Brechtschen Verfremdungseffekt. Auch wenn ichmichim akademischen Bereich für Literatur und Linguistik interessiere, habe ich meine Lebensleidenschaft nie vergessen und versuche so oft wie möglich erste Erfahrungen als Schauspieler zu sammeln.
Bonn, im Mai 2024
Jean-Lou Lamblin