Dienstag, 21.01.2025, 20 Uhr

Die Auflösung des Hauses Decker - Angelika Meier stellt ihren Roman vor
 
Lässt es sich in einem Totenhaus nicht vielleicht noch am besten leben? Nur ein paar Wochen hatte Odra Decker im Haus ihrer Kindheit bleiben wollen, um es aufzulösen. Doch nun ist seit dem Tod des Vaters schon der zweite herrliche Sommer ins Land gegangen, und noch immer ist nichts geschehen. Völlig bewegungsunfähig holt sie den ihr gänzlich unbekannten Josef von Házy ins Haus, der als ihr Sekretär an ihrer Stelle handeln soll. Der lernt jedoch schnell, der dritte im Bunde zu sein, sich ebenso mit der erstarrten Tochter wie dem Geist des toten Vaters zu arrangieren. Statt es aufzulösen, nisten sich die beiden ein im Hause Decker, in dem doch eigentlich nicht länger gelebt werden kann.

Angelika Meier erzählt in ihrem vierten Roman aus leicht irreal entrückter Perspektive eine tragikomische Geschichte von Niedergang und Neuanfang, angesiedelt in einer Gegenwart, in der der Verfall einer Familie á la Buddenbrook endgültig museal geworden ist. Buchstäblich übriggeblieben als letzter Rest einer Schrumpffamilie, beginnt die haltlose Erbin Odra mit ihrem Sekretär ein seltsames Zusammenleben in ihrem heruntergekommenen Haus. Doch während Josef von Házys Vorbereitungen zur Hausauflösung schnell zum schönen Selbstzweck werden, wird Odra immer wieder von der Vergangenheit des Hauses heimgesucht, von ihrer schwierig schönen Kindheit und der Geschichte ihres Vaters. Dieser, ein nach außen hin noch fest im Sattel linksliberaler Bürgerlichkeit sitzender Kunstgeschichtsprofessor, war an seiner Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus und seiner Negativabhängigkeit von seinem noch ganz traditionell postfaschistisch-bürgerlichen Elternhaus verzweifelt.

Und doch scheint es keinen schöneren Ort zu geben als diese sonnendurchflutete Stätte des Scheiterns. Könnte man nicht hier seinen Platz in der Welt finden und ihr zugleich kindlich-heiter abhandenkommen? Vom listigen Haus als trügerische Heimstatt trauriger Taugenichtse verführt, drohen die neuen Bewohner an dessen Stelle sich selbst aufs Angenehmste aufzulösen.

„Angelika Meier [bewegt sich] souverän in den Trutzburgen moderner Ichbildung oder auch -verhunzung. Der Mensch im Meier-Roman ist ganz ohne Zweifel Patient in den Irrenhäusern Familie und Gesellschaft. Er ist Gefangener seiner Neurosen, Marionette in einem Spiel, das er immer nur so halb versteht und dem er durch Irrsinn und Eigensinn zu entrinnen sucht. Und dass das alles nicht klingt wie Foucault mit Kafka-Fußnoten oder Kafka mit Foucault-Fußnoten, liegt daran, dass Angelika Meiers Prosa von der Muse der Komik geküsst ist. […] Angelika Meiers Roman entfaltet in der hermetischen Welt der Professorenvilla und ihrer vorgelagerten Sportanlagen zwei versehrte Biografien aus Westdeutschland. Beide mit dezent angedeuteten Schmerzpunkten, die auch tief in die Tennisplatzseele der Nachkriegsgesellschaft hineinstrahlen. Der Autorin gelingt es dabei, eine vollkommen konstruierte und irrwitzige Liebesgeschichte durchaus glaubhaft zu machen.“ Katharina Teutsch, FAZ

Angelika Meier, geboren 1968, studierte germanistische Literaturwissenschaft und promovierte an der FU Berlin mit einer Arbeit über Jacques Derrida und Ludwig Wittgenstein. Viele Jahre schrieb sie Prosatexte für die Schublade, bis sie 2007 den wissenschaftlichen Weg abbrach, um sich ganz dem literarischen Schreiben zu widmen. Sie lebt in Berlin und Essen.

Veröffentlichungen (Auswahl):

England. Roman 2010

Heimlich, heimlich mich vergiss. Roman 2012

Osmo. Roman 2016

Die Auflösung des Hauses Decker. Roman 2021

Alle erschienen im Verlag diaphanes, Zürich, Berlin.

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