Dienstag, 08.03.2016,20 Uhr
Prof. Dr. Amy-Diana Colin: Czernowitz - Stadt der Dichter (mit Tondokumenten)
Edith Silbermann, geborene Horowitz, aus Czernowitz (Bukowina), Schauspielerin, Rezitatorin, Übersetzerin, Germanistin, Publizistin, Mittlerin zwischen deutschen und jüdischen Kulturtraditionen, erzählt ihre bewegte Familiengeschichte und ihre Jugenderlebnisse in Czernowitz vor und während des Zweiten Weltkrieges; ein Kapitel des Buches ist dem Lyriker Paul Antschel (Celan) gewidmet, mit dem sie seit den Czernowitzer Tagen bis zu seinem Tode befreundet war. Paul war ihre und Edith seine erste Jugendliebe.
Edith Silbermann zeichnet ein plastisches Bild einer versunkenen Kulturwelt, die Paul Celan, Rose Ausländer, Edgar Hilsenrath und viele andere deutschsprachige, aber auch jiddische, rumänische und ukrainische Autoren hervorgebracht hatte.
Edith Silbermanns Elternhaus war ein Mittelpunkt regen geistigen Austausches. Die umfangreiche Büchersammlung ihres Vaters, Karl Horowitz, zog viele Lyriker magisch an. Für den jungen Paul Celan war diese Bibliothek eine wahre Fundgrube. Dort verfasste er auch einige seiner frühen Gedichte, die er Edith schenkte.
Edith Silbermann hatte eine besondere Art der Vortragskunst entwickelt, die Rezitation, Sprechgesang und schauspielerische Darstellung mit einfühlsamen Interpretationen verband. Ihre Rezitationskunst, vor allem ihr jiddisches Liedprogramm, ihre Vertonung eines Gedichtes von Paul Celan und ihre Vortragsweise anderer seiner Gedichte begeisterten das Publikum in Wien, Salzburg, Amsterdam, Den Haag, Rotterdam, Paris, Pittsburgh, Berlin und in vielen anderen deutschen Städten. Der vorliegende Band bringt zwei Audio-CDs mit Aufnahmen aus ihrem reichen Rezitationsprogramm.
Es ist der Bericht einer ungewöhnlichen Zeitzeugin.
Die Herausgeberin Amy-Diana Colin (PhD, Yale) hat die auf umfassender Recherche beruhenden Kommentare zu den jiddischen Liedern und Gedichten sowie den biobibliographischen Apparat verfasst. Colin würdigt und dokumentiert zugleich die Leistung Edtih Silbermanns als Rezitatorin und Kulturvermittlerin.
Amy-Diana Colin (Hg.), Edith Silbermann: Czernowitz - Stadt der Dichter. Geschichte einer jüdischen Familie aus der Bukowina (1900-1948). Fink 2015, 401 Seiten, 136 mit 136 Abb. Und 2 CDs. 49,90 €
Amy-Diana Colin u. Edith Silbermann(Hrs): Paul Celan - Edith Silbermann. Zeugnisse einer Freundschaft. Gedichte, Briefwechsel, Erinnerungen. Fink 2010. 160 S. 41,90 €
Ein Meridian verband Paul Celan mit seinen Czernowitzer Freunden Edith und Jacob Silbermann. Seiner Jugendliebe Edith hatte er Gedichte geschenkt, die er in der Bibliothek ihres Vaters, der zweitgrößten Büchersammlung der Stadt, verfasst hatte. In jener Nacht des Jahres 1942, als seine Eltern deportiert wurden, fand er Zuflucht in Ediths Haus.
Als er aus dem Arbeitslager nach Czernowitz zurückkam, nahmen ihn Ediths Eltern auf. Durch Edith lernte er den jüdischen Rechtsanwalt Dr. Jacob Silbermann kennen, der ihm 1945 half, das sowjetische Czernowitz zu verlassen; gemeinsam unternahmen die beiden Freunde die gefährliche Reise nach Rumänien. 1947 gelang Celan die Flucht aus dem kommunistischen Rumänien: Er ging nach Wien, danach Paris. Siebzehn Jahre später nach unzähligen missglückten Auswanderungsversuchen trafen auch Edith und Jakob Silbermann in Wien ein. Obwohl ihre Eltern einst österreichische Staatsbürger und die Väter k. u. k.-Veteranen waren, verweigerten die österreichischen Beamten Edith und Jakob Silbermann eine Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung und neue Reisedokumente: »Vielleicht wird es uns doch vergönnt sein, sich in der freien Welt auch bewegen zu dürfen vorderhand sind wir nur ungebetene Zaungäste an den Toren dieser Welt«, schrieb Jakob Silbermann an Paul Celan, der ihnen zu helfen suchte. In seinen Briefen klagte Celan indes auch über eigene bittere Erfahrungen und seinen schweren Stand »als Jude und deutscher Schriftsteller«. Der Band umfasst frühe Gedichte Celans aus dem Besitz seiner Jugendfreundin Edith Silbermann, seinen späteren Briefwechsel mit Edith und Dr. Jacob Silbermann und einen wichtigen Zeitzeugenbericht von Edith Silbermann.