Freitag, 02.09.2016, 20 Uhr

Chinesische Gedichte  aus der Zeit der Tang-Dynastie und aus dem 20. Jahrhundert – vorgestellt von Ulrich Bergmann und Doris Distelmaier-Haas

zweisprachige Lesung: Chinesisch - Deutsch
Lesung der chinesischen Texte: Frau Xu Meimei und Frau Wang Maya

Meine Hand malt Worte.
Gedichte aus der Zeit der Tang-Dynastie und aus dem 20. Jahrhundert. Deutsch-Chinesisch. Übersetzt von Ulrich Bergmann. Gemalt von Doris Distelmaier-Haas. Mit einem Geleitwort von Wolfgang Kubin. Bacopa Verlag 2015. 151 S. Geb. 14,80 €

Was verbindet die ausgewählten Gedichte aus dem 7. bis 10. Jahrhundert (Tang-Dynastie) mit den Gedichten des turbulenten 20. Jahrhunderts? Es ist die erstaunliche Nähe zur europäischen Literatur des ausgehenden Mittelalters und der beginnenden Neuzeit. Es sind die Themen, die Metaphorik und die gedankliche Pointierung am Ende der Gedichte. Der Schwerpunkt liegt bei den frühen Gedichten auf der subjektiv erfahrenen Welt (Li Bai), bei den Gedichten der Moderne wird stärker der unaufhebbare existentialistische Konflikt des Einzelnen in einer gebrochenen Welt (Yang Lian) oder die Rettung durch das Kollektiv (Mao Zedong) gesehen. Die Dichter der Moderne träumen wie die alten Meister in Bildern der Sorge, der Angst und der Hoffnung. Von Beginn an sind Naturmetaphern wichtig. Melancholie und Resignation der Tang-Zeit reichen bis in unsere Gegenwart (Yang Lian), werden aber bewusster thematisiert. Das gilt auch für die Fiktion  einer in der Solidarität aller Menschen aufgehenden Gesellschaft bei Mao Zedong, dessen Naturbilder politische Dimensionen erlangen. Es ist der romantische Ton der Sehnsucht in den alten Gedichten, der uns heute – teils sanft-ironisch gebrochen - noch immer anrührt. Oftmals sind es knapp gezeichnete Lebenssituationen, die große Gedankenräume eröffnen. In der neueren Lyrik findet man  mehr und mehr surrealistische Bilder und Reflexionen, darin ähneln diese Texte der europäischen Lyrik des 20. Jahrhunderts. Während Legenden und Mythen für die alte Literatur von großer Bedeutung sind, werden Gegenwartsgeschichte und politische Theorie in der neueren Literatur immer wichtiger.