Albanische Schwestern - Lindita Arapi stellt ihren Roman vor - Moderation: Barbara Weidle
 
Lindita Arapi :Albanische Schwestern. Roman. Aus dem Albanischen von Florian Kienzle. Weidle 3/2023. ca 240 S. Kart. 25,00 €

Alba ist eine von Ängsten geplagte Enddreißigerin. Eine Sozialarbeiterin, die mit ihrem Mann, einem Informatiker, in Wien lebt. Zwar ist es ihr gelungen, das bedrückende Albanien ihrer Kindheit und Jugend zu verlassen und sich eine Existenz in Österreich aufzubauen. Doch das Erreichte kann sie nicht genießen. Nirgendwo fühlt sie sich zu Hause, auch in ihrer Ehe nicht. Vielmehr erfährt sie dort erneut Entfremdung und Einsamkeit. Ihr Mann reagiert mit Unverständnis und Rückzug auf ihre Ängste, sie fühlt sich verlassen und verraten, als er eigene Wege geht. Einzig ihre Schwester Pranvera, die Schöne, Kluge, Starke ihrer Jugendjahre, steht ihr in abendlichen Telefonaten aus Albanien zur Seite.

Pranvera ist ihr einziger Halt in einer von der kommunistischen Diktatur bestimmten Jugend gewesen, in einem von patriarchaler Strenge und Gewalt geprägten Elternhaus. Die Schwestern entwickelten trotz unterschiedlicher Lebenswege eine tiefe Verbun­denheit.

Albas Lebenskrise wird durch Rückblenden aus der Kindheit und durch die Schilderung von Erfahrungen in einer albanischen Kleinstadt in den 1980er und 1990er Jahren nachvollziehbar. In ihren Erinnerungen und in ihrem aktuellen Leben spiegelt sich die Ambivalenz und innere Gebrochenheit einer Seele, die zwischen Aufbegehren, Emanzipationswillen und dem Wunsch, endlich Ruhe zu finden, immer wieder die Fesseln der Vergangenheit zu spüren bekommt.

Als ihr Vater stirbt, kehrt sie in ihre Heimat zurück. Sie erlebt eine verlassene Stadt im Stillstand, einsame Alte, die den ganzen Tag auf einen Anruf der in den Westen emigrierten Kinder warten. Deren Verwahrlosung löst in Alba den Impuls aus, ihnen zu helfen. Am Ende erscheint Alba stärker, als sie es selbst erwartet hätte, und findet einen Lebensentwurf, der ihr entspricht.

Lindita Arapi, 1972 in Lushnja geboren, ist eine der bedeutendsten Schriftstellerinnen Albaniens. Ihre Gedichtsammlung „Am Meer, nachts“ erschien 2007 auf Deutsch (Edition Thanhäuser). Ihr Roman „Das Schlüsselmädchen“ kam 2010 auf Albanisch heraus, in Deutschland 2012 (Übersetzung: Joachim Röhm / Dittrich Verlag). Arapis Gedichte wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt. Sie ist als Hörfunkredakteurin der Deutschen Welle und als Übersetzerin tätig. So übertrug sie u. a. Werke von Günter Grass, Joseph Roth, Elias Canetti, Marion Poschmann, Ron Winkler und Felicitas Hoppe ins Albanische.

Im Oktober 2012 hat Lindita Arapi ihren Roman „Schlüsselmädchen“ in der Buchhandlung Böttger vorgestellt. Der Abend ist also eine Wiederbegegnung mit der Autorin nach über 10 Jahren.

Florian Kienzle, geboren 1982, lebt und arbei­tet als Übersetzer und Albanologe in München. Er ist Autor des Buches „Ein Nehmen und Geben. Die Geschlechter in der albanischen Literatur“. 2021 erschien seine Übersetzung von Elvira Dones, „Verbrannte Sonne“ (ink press).

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