Dienstag, 19.09.2017,20 Uhr

Edgar Allan Poe: Unheimliche Geschichten. Herausgegeben von Charles Baudelaire. Andreas Nohl stellt seine Übersetzung vor.

Poes Werk war von Anfang an eine Provokation, das Modische, Unoriginäre war ihm verhasst. Das puritanische Amerika strafte ihn dafür mit übler Nachrede und Vergessen. Erst in Frankreich fand er posthum geistiges Exil, als niemand geringeres als Baudelaire ihn in den Rang setzte, der ihm gebührt, seine Werke in fünf Bänden übersetzte und kommentierte. Mit ebendieser Poe-Ausgabe von Charles Baudelaire beginnt die literarische Moderne. Andreas Nohl überträgt sie ins Deutsche und zeigt Poe, den großen Pionier, auf der Höhe seiner Kunst.

Edgar Allan Poe: Unheimliche Geschichten. Herausgegeben von Charles Baudelaire. Übersetzt von Andreas Nohl. dtv 2017. 427 S. Geb. 28 € 

Der vorliegende erste Band trägt den Titel Unheimliche Geschichten: Poes unvergleichliche Erzählungen – von den Detektivgeschichten wie »Doppelmord in der Rue Morgue« über »Der Gold-Skarabäus« bis hin zu den Grotesken und den visionären Traumbildnissen wie »Ein Sturz in den Malstrøm« – bezeichnen bis heute die Höhepunkte ihrer Gattung, wenn sie sie nicht überhaupt erst begründet haben. Poe steht keineswegs in der Tradition der gothic tales, die von der Romantisierung der Angst leben – denn er hat das Gegenteil getan: Er hat der Angst alles Schauerlich-Beschauliche genommen und ihre zuckenden Herzmuskeln bloßgelegt. „Wenn jeder, der seine Einfälle Poe verdankt“, so Arthur Conan Doyle, „den zehnten Teil seiner Einnahmen opfern müsste, könnte diesem ein Denkmal errichtet werden, das größer ist als die Pyramiden…“

Texte von Charles Baudelaire über Edgar Allan Poe und seine Erzählungen vervollständigen den Band.

Andreas Nohl 
studierte Philosophie in Berlin und Frankfurt am Main u. a. bei Jacob Taubes und Alfred Schmidt. Nach einjährigem Studienaufenthalt in San Francisco (Kontakt u. a. zu Reinhard Lettau und Henry Roth) lebt er als freier Schriftsteller in Augsburg. Er veröffentlichte Literaturkritiken u. a. für Die Zeit und die Neue Zürcher Zeitung. 

Sein erstes Erzählungsbuch Verfolgung des Bartholomé (1978), für das er den unter der Ägide von Golo Mann erstmals vergebenen Literaturpreis der Jürgen Ponto-Stiftung erhielt, wurde stilistisch mit Robert Musil verglichen. Sowohl in diesem ersten als auch in dem nachfolgenden Band Amazone und Sattelmacher (1985) geht es um seelische Grenzsituationen, die zu einer mythisch-unheimlichen Verzerrung der Wirklichkeit führen. Sein drittes Buch Hieronymus (1993) nimmt sich des vergessenen Mitstreiters von Jan Hus an: Hieronymus von Prag. Die Verbindung von historischen Fakten und Fiktion erinnert teilweise an die journalistische Erzähltechnik von Truman Capote. Als Essayist und Herausgeber hat sich Nohl vor allem für die amerikanische Literatur eingesetzt (Edgar Allan Poe, Mark Twain, William Faulkner, Henry Roth, Lisel Mueller, Keith Abbott etc.).

Mit seiner Neuübersetzung von Mark Twains Tom Sawyers Abenteuer und Huckleberry Finns Abenteuer (beide 2010) und der Erstübersetzung von Robert Louis Stevensons St. Ives (2011) hat sich Andreas Nohl auch als Übersetzer der klassisch-modernen englischen und amerikanischen Literatur hervorgetan.

Gemeinsam mit dem Theatermacher Sebastian Seidel besuchte er 2012 chinesische Schriftsteller in Jinan, Provinz Shandong, und gab die deutsch-chinesische Anthologie Tales of Two Cities (2014) heraus, die zugleich in Deutschland und in China erschien. Es ist die erste internationale literarische Zusammenarbeit dieser Art.

Auszeichnungen:

1978: Literaturpreis der Jürgen Ponto-Stiftung (Juror: Golo Mann)

1981: Aufnahme in die Klagenfurter Anthologie des Ingeborg-Bachmann-Preises

1984: Ruhrpreis für Kunst und Wissenschaft

1987: Bayerischer Staatsförderpreis

2016: Heinrich Maria Ledig-Rowohlt-Preis

2017: Andreas Nohl erhält den mit 10.000 Schweizer Franken dotierten Zuger Anerkennungspreis für seine Übersetzung der Werke von Edgar Allan Poe.


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